Eine häufige Erkrankung: der Steißbeinabszess – Sinus pilonidalis
Ein Schwerpunkt unserer Praxis ist die Behandlung von Steißbeinabszessen und -fisteln. Es existieren viele verschiedene Möglichkeiten, einen Steißbeinabszess zu behandeln. Die einzelnen Behandlungen unterscheiden sich im Aufwand, im Verlauf und im Ergebnis zum Teil erheblich, so dass es ganz entscheidend ist, für jeden Patienten individuell den richtigen Behandlungsansatz zu wählen.
Wir möchten Ihnen in diesem Blogbeitrag einen Einblick in die wissenschaftlichen Ergebnisse der Behandlung der Steißbeinfisteln geben. Grundlage dieses Einblicks ist die zertifizierte Fortbildung, die als Review-Artikel “Behandlung des Sinus pilonidalis” von Igors Iesalnieks und Andreas Ommer im Deutschen Ärzteblatt ganz aktuell im Januar 2019 erschienen ist.
Häufigkeit von Steißbeinabszessen
Die Steißbeinfistel ist im Jahr 2012 in Deutschland bei 48 von 100.000 Personen aufgetreten.
Entstehung von Steißbeinabszessen
Inzwischen herrscht Einigkeit darüber, dass der Steißbeinabszess erworben und nicht angeboren ist.
Bezüglich der Entstehung von Steißbeinfisteln existieren dagegen mehrere Vorstellungen:
- Follikuläre Hyperkeratose mit Verschluss, Erweiterung und Zerreißen des Haarbalgs mit nachfolgender Entzündung, Gangbildung (Fistel) und Eiteransammlung (Abszess). Die gestörte, übermäßige Verhornung der oberen Hautschicht verschließt die feinen Kanäle, durch die die Haare durch die Haut treten. Der Haarfollikel, der die Haare nachwachsen lässt, geht hierdurch zugrunde und verursacht somit dieses Krankheitsbild.
- Schraubenartiges Einbohren von freiliegenden Haaren urprünglich von Nacken- und Kopfhaar, wobei die Hornschuppen der Haare als Widerhaken fungieren und somit ein Eindringen in die Haut begünstigen.
- Einsaugen von Haaren in vorhandene Fistelöffnungen durch einen Unterdruck über dem Steißbein durch die Bewegung der Glutealmuskulatur (Gesäßmuskulatur).
Beschwerden bei Steißbeinfisteln
Fistelöffnungen in der Gesäßfalte werden Porusöffnungen (“Pits”) genannt. Patienten ohne Beschwerden weisen reizlose “Pits” auf, gelegentlich entstehen aber auch schmerzhafte Pilonidalabszesse mit Schwellungen und Schmerzen links oder rechts neben der Mittellinie, die den Körper in einer gedachten Linie in zwei symmetrische Hälften teilt (auch Medianlinie genannt). Die Gesäßfalte liegt direkt in der Mittellinie.
Bei der chronischen Erkrankung bestehen permanente oder immer wieder auftretende flüssig-eitrige Absonderungen aus den Öffnungen in der Gesäßfalte oder seitlich davon.
Behandlungsmöglichkeiten der Steißbeinfisteln
Akute Abszessbildung
Der Abszess sollte nicht vollständig ausgeschnitten werden, sondern lediglich der Eiter aus dem Abszess in örtlicher Betäubung über einen Schnitt, der außerhalb der Mittellinie liegt, abgeleitet werden. Eine Heilung des Steißbeinabszesses kann damit nicht erreicht werden, ist aber auch nicht beabsichtigt. Die Anwendung einer Antibiotikatherapie wird dabei nicht grundsätzlich empfohlen.
Minimalinvasive Therapieverfahren
“Pit picking”
Hierbei werden die in der Mittellinie sichtbaren Porusöffnungen in Lokalanästhesie behandelt.
Beim “Pit picking” wird die Haut über einen Abschnitt von ein bis zwei Zentimetern geöffnet und das erkrankte Gewebe in diesem Bereich entfernt.
Sinusektomie
Bei der Sinusektomie wird vom Porus ausgehend das Gewebe bis zum Ausgang der Fistel ausgeschnitten und zur Sekundärheilung offen gelassen. Bei der Sekundärheilung wird die Wunde nicht chirurgisch verschlossen, sondern heilt vom Wundgrund her zu.
Laserablation
Hierbei werden die Verfahren des “Pit picking” und der Sinusektomie mit einer Laserablation der subkutanen Gänge kombiniert. Dabei werden die Fistelgänge unter der Haut mit einem Laser abgetragen.
Phenolinstillation
Hierbei wird das toxische Phenol in die Fistelgänge eingespritzt und führt dort zu einer entzündlichen Reaktion mit nachfolgender Vernarbung.
Exzisionsverfahren
Grundsätzlich unterscheidet man mediane Exzisionsverfahren von “off-midline”-Verfahren.
Bei medianen Exzisionsverfahren liegt die Wunde nach der Operation in der Mittellinie. Bei “off-midline”-Verfahren wird meistens ein subkutaner ( =unter der Haut befindlicher) Lappen gebildet und die verschlossene Wunde liegt später vollständig außerhalb der Mittellinie.
Exzision und offene Wundbehandlung
Dieses mediane Exzisionsverfahren gilt in der deutschsprachigen Leitlinie als Standardverfahren. Hierbei wird das Fistelgangsystem markiert und vollständig ausgeschnitten. Die Wunde wird offen gelassen und heilt über eineinhalb bis drei Monate vom Wundgrund her zu (Sekundärheilung).
Exzision und primäre Mittelliniennaht
Die Absicht, nach dem Ausschneiden des Steißbeinabszesses die Wunde durch eine Mittelliniennaht zu verschließen und damit die Wundheilungsdauer zu verkürzen, hat sich nicht bewährt, da hier häufig Wundheilungsstörungen zu beobachten sind, bei denen sich die Wunde wieder öffnet.
Operation nach Karydakis
Bei der Operation nach Karydakis führt man eine asymmetrische, elliptische Exzision durch, die am seitlichen Rand das Fistelsystem entfernt und die Wunde über die Mittellinie hinaus seitlich verlagert.
“Cleft Lift”-Verfahren
Das “Cleft Lift”-Verfahren ist eine Abwandlung der Karydakistechnik, wobei der ausgeschnittene Teil bis zu zwei bis drei Millimeter dünner ist und sich. die Schnittführung ebenfalls etwas unterscheidet.
Limberg’sche Plastik
Diese plastische Operationsmethode des Sinus pilonidalis besteht aus einer rautenförmigen Exzision des Filstelsystems. Die Defektdeckung erfolgt hierbei mit einem ebenfalls rautenförmig geformten, mobilisierten subkutanen Lappen, der an die Stelle des entfernten Gewebes geschwenkt und dort eingenäht wird.
Wie hoch sind die Rückfallquoten (Rezidivraten) bei welchem Verfahren? Wie oft tritt nach der Operation wieder ein Steißbeinabszess auf?
Vergleicht man die minimal-invasiven Verfahren (“Pit picking”) mit den “off-midline”-Methoden, zeigt sich eine signifikant höhere Rückfallrate nach “Pit picking”- Operationen.
Das Wiederauftreten von Steißbeinabszessen nach einer Operation wurde in einer Übersichtsarbeit mit mehr als 10.000 Patienten mit primärem Wundverschluss wie folgt ermittelt:
- Mittellinienverschluss 10 %
- Karydakisplastik 2%
- “Cleft lift” 2 %
- Limberg’scher Lappen 2 %
Man stellt hier, aber auch in anderen randomisierten Studien, klar einen Vorteil der “off-midline”-Methoden gegenüber denen des Mittellinienverschlusses fest.
Innerhalb der “off-midline”-Verfahren konnte untereinander kein Vorteil gezeigt werden, einzig weist die Karydakisplastik gegenüber der Limberg’schen Plastik einen kosmetischen Vorteil auf.
Haarentfernung
Das regelmäßige Rasieren nach der Operation eines Steißbeinabszesses bringt überraschenderweise eine erhöhte Rezidivrate mit sich.
Fazit
Vier Entwicklungen sind bei der Behandlung des Steißbeinabszesses aktuell maßgeblich:
- Die häufigste Art der chirurgischen Behandlung des Steißbeinabszesses ist die vollständige Exzision in der Mittellinie und die offene Wundbehandlung.
- Aufgrund der aktuellen Erkenntnisse sollte dem dagegen eine Therapie durch ein “off-midline”-Verfahren vorgezogen werden, da die Rückfallraten hier am niedrigsten sind und die Nachteile der offenen Wundbehandlung entfallen.
- In chirurgischen Praxen steigt die Beliebtheit der minimal-invasiven Verfahren wie “Pit picking“.
- Gleichzeitig werden auch neuere Technologien wie Laserchirurgie zur Anwendung gebracht.
Die Anwendung der minimal-invasiven Verfahren wie z.B. “Pit picking” ist sehr einfach, das Therapieversagen ist aber mit 20 bis 25% nach drei Jahren häufig. Die Notwendigkeit zur Behandlung der weiterbestehenden Erkrankung tritt also bei jedem vierten bis fünften Patienten ein.
Die immer noch populärste Methode der Behandlung des Steißbeinabszesses durch Ausschneiden und offene Wundbehandlung verursacht meistens große Weichteildefekte, die langwierig heilen können. Zudem beträgt hier bei wiederholter Anwendung die Versagensrate über 50%.
Die Vorteile der neuen Technologien mit Laseroperationen und anderen Verfahren sind derzeit noch nicht erwiesen.
Aus wissenschaftlicher Sicht sollten die “off-midline”-Verfahren ganz klar den anderen Behandlungsmethoden vorgezogen werden. Sie erfordern jedoch einen auf diesem Gebiet erfahrenen Chirurgen.
Quelle:
Iesalnieks, Igors und Ommer, Andreas (2019): Behandlung des Sinus pilonidalis, in Deutsches Ärzteblatt, Jg. 116 , Nr. 1/2 , Seite 12-21.