Saubere Hände? Gar nicht so einfach!

Die Qualität der Händedesinfektion hängt maßgeblich von der erlernten Technik ab. Bringt ein Standard Vorteile?

Händewaschen für Anfänger

Was eigentlich schon immer zur wiederholten täglichen Hygiene gehören sollte, ist aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie zur Zeit in allen Medien zu lesen und zu hören: “Waschen Sie sich die Hände gründlich mit warmem Wasser und Seife!” Klingt doch eigentlich ganz einfach – oder? Aber was heißt eigentlich gründlich?
Studien haben belegt, dass bereits 20-sekündiges Händewaschen mit Seife 99% der auf den Händen befindlichen Keime beseitigt. Sowohl Bakterien als auch Viren lassen sich also auf diesem Weg schnell und effizient einfach abwaschen.

Regelmäßig angewendet, lassen sich also bereits auf diesem Weg viele Übertragungen von Krankheitserregern über die Hände vermeiden – auch z.B. die des Coronavirus.

Händewaschen für Fortgeschrittene

Nicht erst seit dem Auftreten der Corona-Epidemie spielen Infektionen eine entscheidende Rolle im Gesundheitswesen. Nach Schätzungen der WHO starben in Europa bisher ca. 50.000 Menschen jährlich an Infektionen und die damit verbundenen Kosten für das Gesundheitssystem beliefen sich auf ca. sieben Billionen Euro.

Infektionen verbreiten sich in der Regel über die Hände der medizinischen Personals. Krankheitserreger haften an deren Händen, die erst den einen, dann anderen anderen Patienten berühren und breiten sich so aus. Damit das nicht passiert, desinfiziert sich medizinisches Personal so oft die Hände.
Bei den “Profis” kommt zu dem regulären Waschen der Hände noch die Händedesinfektion hinzu – denn das eine Prozent an restlichen Keimen an den Händen nach dem Händewaschen ist im Umgang mit alten und kranken Menschen noch zu viel.
Daher ist im Gesundheitswesen neben dem Gebrauch von Einmalhandschuhen die Händedesinfektion die wichtigste Maßnahme, um Infektionen zu verhindern.

Vor dem Kontakt zum Patienten und danach desinfiziert sich der Profi die Hände, egal ob Arzt, Pflegekraft, Rettungsdienstler, Technischer Assistent oder Physiotherapeut.
Aber wie desinfiziert man sich die Hände? Ist es egal, wie? Reicht es dazu, einfach nur ein Desinfektionsmittel zur Hand zu haben?

Händedesinfizieren muss man lernen!

Hygienische und chirurgische Händedesinfektion

Das Ziel der Händedesinfektion ist es, die hautfremden Keime zu vernichten und die hauteigenen Bakterien zu reduzieren. Für diese Art der Händedesinfektion, die man hygienische Desinfektion nennt, reicht die einmalige Anwendung des Desinfektionsmittels. Wiederholt man die Anwendung mehrfach, werden schließlich auch die hauteigenen Bakterien abgetötet, was chirurgische Desinfektion genannt wird.

Übung macht auch hier den Meister

Auch diese Aufgabe scheint fast so klar und einfach wie die Anweisung zum Händewaschen zu sein: “Reibe die Hand mit dem Desinfektionsmittel ein, so dass die Handfläche, der Handrücken und alle Finger vollständig bedeckt werden.”
Dieses Ziel zu erreichen, ist aber gar nicht so einfach und muss erlernt und geübt werden. Denn bei den ersten Versuchen, eine Händedesinfektion durchzuführen, zeigt sich meistens, dass es eben nicht sofort und spontan gelingt, die ganze Haut der Hände mit Desinfektionsmittel zu benetzen.
Insbesondere spielt die Qualität der Händedesinfektion nicht nur bei Berufsanfängern eine herausragende Rolle. Die Tatsache, dass die Erregerübertragung im Gesundheitswesen immer noch am häufigsten über die Hände des medizinischen und pflegerischen Personals erfolgt, zeigt, dass auch erfahrene Fachleute offenbar nicht in der Lage sind, sich richtig die Hände zu desinfizieren.
Wichtig ist beim Desinfizieren, die ganze Hautoberfläche mit dem Desinfektionsmittel einzureiben, so dass es anschließend keine bakterienbehafteten Hautinseln mehr gibt, die nicht ausreichend mit Desinfektionsmittel in Berührung kamen.

Wie überprüft man überhaupt, ob eine Händedesinfektion vollständig war?

Die Vollständigkeit einer Desinfektion kann überprüft werden, indem man dem Desinfektionsmittel einen fluoreszierenden Stoff zugibt. Hat man die Händedesinfektion damit durchgeführt, kann nun mit einer Schwarzlichtlampe sichtbar gemacht werden, welche Stellen an der Haut nicht mit Desinfektionsmittel bedeckt wurden. An diesen Stellen haften dann noch die Krankheitserreger.

Die DIN-Norm für die Hände-Desinfektion

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat wegen der Wichtigkeit des Faktors “Händedesinfektion” bei der Verbreitung von Infektionskrankheiten einen Standard für diese Prozedur etabliert.

Für die hygienische Händedesinfektion umfasst der Standard nach DIN EN 1500 folgende sechs Schritte:

  • Drei bis fünf Milliliter Händedesinfektionsmittel werden auf die trockenen Hände folgendermaßen verteilt. Dabei ist die Einwirkung gegen Bakterien mit 30 Sekunden vorgeschrieben, gegen Viren mit 60 Sekunden. Die Hände müssen durchgehend durch das Desinfektionsmittel feucht sein, bei Bedarf muss mehr nachgenommen werden. Das Desinfektionsmittel muss komplett verdunsten, die Hände werden nicht abgetrocknet.
  • Das Desinfektionsmittel wird auf den Handflächen verteilt und verrieben. Die Handgelenke werden dabei auch mitdesinfiziert.
  • Die Handflächen reiben abwechselnd über den Handrücken der anderen Hand und erfassen die Fingerzwischenräume dabei mit.
  • Erneut Handfläche auf Handfläche reiben und dabei die Zwischenfingeräume von der anderen Seite als bei 2. einreiben,
  • Die Fingeraußenseiten in der Handfläche der anderen Hand mit Desinfektionsmittel einreiben,
  • Die Daumen rundum in der Handfläche der anderen Hand einreiben,
  • Die Fingerkuppen in der Handfläche der anderen Hand einreiben.

Standards sind gut, um ein einheitliches Vorgehen zu gewährleisten und dienen dazu, die beste Zielqualität herbeizuführen – Aber: Ist das hier wirklich so?

Der Standard: Nur gut oder auch besser?

Ob sich die Effizienz der hygienischen Händedesinfektion unterscheidet, wenn sie nach dem DIN-Standard der Sechs-Schritte-Technik oder nach einer zielorientierten, selbstverantwortlichen Anwendung erlernt wird, wurde in einer Studie in Frankfurt untersucht.
Dabei wurden zwei Gruppen zu jeweils ca. 100 Studenten gebildet. Während die erste Gruppe die hygienische Händedesinfektion nach dem WHO-Standard erlernte, wurde der zweiten Gruppe die Applikationstechnik eigenverantwortlich selbst überlassen.
In beiden Gruppen wurde die Effizienz der Händedesinfektion zu drei Zeitpunkten untersucht und verglichen. Dazu wurde der oben beschriebene Fluoreszenztest durchgeführt und die nicht desinfizierten Handabschnitte fotografiert und ausgemessen.
Beim ersten Kontrollzeitpunkt direkt am Tag des Erlernens der hygienischen Händedesinfektion und beim zweiten Kontrollzeitpunkt einige Tage später, stand die Händedesinfektion selbst als Prüfziel im Vordergrund. Der dritte Kontrollzeitpunkt fand jedoch fünf bis zwölf Wochen später anlässlich der Prüfung verschiedener chirurgischer Untersuchungsfähigkeiten statt. Hierbei desinfizierten die Studenten ihre Hände scheinbar nebensächlich zum Zweck der der Untersuchung. Die Händedesinfektion war für die Studenten nun also nicht Prüfungsschwerpunkt, jede/r führte die Händedesinfektion aber nach der zuvor erlernten Methode durch.
Die Erwartungshaltung war klar: die Studenten, die die hygienische Händedesinfektion nach dem WHO Standard erlernt hatten, sollten doch deutlich besser abschneiden, richtig?

Überraschende Erkenntnis!

Bei der ersten Messung gab es tatsächlich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen bezüglich der Anteile nicht desinfizierter Haut.

Bei der zweiten Messung jedoch, zeigten sich signifikant mehr nicht desinfizierte Hautstellen bei Gruppe 1, also bei den Studenten, die nach der Sechs-Schritt-Anweisung der WHO verfuhren. Insgesamt desinfizierte Gruppe 2 ihre Handflächen besser.

Bei der dritten Messung war Gruppe 2 erneut signifikant besser als Gruppe 1, hier war der Handrücken diesmal besser desinfiziert.

Verglichen mit der etablierten Sechs-Schritt-Technik erbrachte in dieser Studie eine eigenverantwortliche Anwendungstechnik von Desinfektionsmittel also messbar bessere Ergebnisse.

Warum brachte der Standard keinen Vorteil?

Das Ergebnis dieser Studie erscheint auf den ersten Blick unlogisch und daher überraschend. Sollte ein Standard durch den systematischen Ansatz nicht gerade hier eine gründliche Desinfektion und ein hervorragendes Ergebnis gewährleisten?
Wäre eine Gleichwertigkeit der Methoden schon interessant, so ist die Überlegenheit der Nicht-Standard-Methode wirklich bemerkenswert. Wie lässt sich das erklären?

Mitdenken beim Händedesinfizieren!

Algorithmus-basiertes Lernen konzentriert sich darauf, wie die einzelnen Schritte in der richtigen Reihenfolge durchgeführt werden müssen.
Im Vergleich beinhaltet das Erarbeiten einer eigenverantwortlichen Technik jedoch unmittelbar das Erkennen und Beheben der erkannten Schwächen in der eigenen Technik als Feedbackmechanismus.
Genau dieses Verbessern der eigenen Technik aufgrund erkannter Fehler im Ergebnis entfällt beim individuell nicht veränderbaren Standard. Dieser Vorgang stellt aber andererseits genau den aktiven Lernvorgang dar, der einen selbst erarbeiteten Algorithmus im prozeduralen Gedächtnis verankert.

Welche Lehre kann man daraus ziehen?

Standards zur Durchführung eines regelmäßigen Vorgangs sind wichtig für eine solide Grundlage, sie sollten jedoch nicht verhindern, dieses standardisierte Verhalten auch bei der zig-tausendsten Durchführung immer wieder zu hinterfragen und auf seine Effizienz zu prüfen. Nicht nur passt ein Standard bekanntermaßen nicht immer auf die individuelle Situation, sondern der Standard kann auch dazu führen, dass Fähigkeiten in geringerer Qualität erlernt und gegebenenfalls nicht weiter optimiert werden.
Die Studie zeigt einmal mehr, dass das Verständnis des “Wie und Warum” der Prozedur auch für die langfristige Ergebniseffizienz des Durchführenden wichtig ist. Das bloße Abhandeln der Standardschritte kann unter Umständen zu einem schlechteren Ergebnis führen. Deshalb die Bitte: Mitdenken beim Händedesinfizieren!

Quelle:

Sakmen KD, Sterz J, Stefanescu MC, Zabel J, Lehmann M, Ruesseler M. Impact of the teaching method of the rub-in technique for learning hygienic hand disinfection in medical studies: a comparative effectiveness analysis of two techniques. GMS Hyg Infect Control. 2019;14:Doc17. Published 2019 Nov 13. doi:10.3205/dgkh000332

Pubmed – Link:

https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6883343/